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Erlaubnistatbestand rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis (Vertragsverhältnis)

Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO

Den für den Bereich der privaten Wirtschaft wohl wichtigsten Erlaubnistatbestand formuliert Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO: die Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten für die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses mit dem Betroffenen.

1. Rechtsgeschäftliches oder rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis

Erforderlich ist hier zunächst das Vorliegen eines rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses. Somit ist die Verarbeitung personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke zulässig, wenn es der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient. Für den Datenschutz in der privaten Wirtschaft lässt sich hieraus folgendes festhalten:

  • Ein Schuldverhältnis liegt immer dann vor, wenn es (mindestens) einen Gläubiger und einen Schuldner gibt und der Gläubiger berechtigt ist, eine bestimmte Leistung vom Schuldner zu fordern, § 241 Abs. 1 S. 1 BGB.
  • Die Leistung kann auch aus einem Unterlassen bestehen, § 241 Abs. 1 S. 2 BGB.
  • Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft ist, soweit nicht gesetzlich abweichend geregelt, ein Vertrag erforderlich, § 311 Abs. 1 BGB.
  • Der Vertrag kann, sofern gesetzlich nichts anderes geregelt ist, schriftlich, mündlich oder durch konkludentes Handeln geschlossen werden.
  • Ein Schuldverhältnis kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, § 311 Abs. 3 S. 1 BGB.
  • Ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis entsteht auch bei der Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB), bei der Anbahnung eines Vertrages, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter oder Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB), oder im Falle ähnlicher geschäftlicher Kontakte (rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse, § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

Zu unterscheiden von den rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen sind hingegen die gesetzlichen Schuldverhältnisse, wie z.B. Schadensersatzansprüche. Diese rechtfertigen kein Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln personenbezogener Daten oder ihre Nutzung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO, können aber ihrerseits als Rechtsvorschrift i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. c) DSGVO einen spezialgesetzlichen Erlaubnistatbestand darstellen.

In der privatwirtschaftlichen Praxis stellen Abschluss, Durchführung und Beendigung von Verträgen sicherlich die Haupt-Handlungsweise von Unternehmen dar, sodass Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO über eine herausragende Bedeutung als Erlaubnistatbestand verfügt. Wichtig ist zunächst, dass auch das sogenannte vorvertragliche Vertrauensverhältnis mit erfasst ist. In diesem Fall ist es (noch) nicht zu einem Vertragsschluss gekommen, es besteht jedoch aufgrund der Vertragsanbahnung bereits ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten.

Beispiel:

A wendet sich schriftlich an die Firma F mit der Bitte, ein Angebot für eine bestimmte Leistung zu erstellen. Die F erstellt dieses Angebot und übersendet es dem A. Dieser entscheidet sich jedoch für den Vertragsschluss mit einem anderen Unternehmen. Hier ist zu keinem Zeitpunkt ein Vertrag zwischen dem A und der F zustande gekommen. Wohl aber war das Stadium des vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses erreicht. Somit war die F gem. Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO berechtigt, die personenbezogenen Daten des A zu erfassen und zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung und Übersendung des vom Betroffenen selbst angeforderten Angebotes erforderlich war. Einer gesonderten Einwilligung des A bedurfte es hier nicht.

Dabei ist regelmäßig zu berücksichtigen, dass es sich bei der informationellen Selbstbestimmung um ein Grundrecht handelt, das im Falle des Konfliktes mit einem anderen grundrechtlich verbrieften Freiheitsrecht (z. B. dem Eigentum, Art. 14 GG) zwar in gewissem Umfang eingeschränkt werden darf, dessen Kerngehalt jedoch stets erhalten bleiben muss.

2. Erforderlichkeit für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses

Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten oder ihre Nutzung muss erforderlich für das Vertragsverhältnis sein. Erforderlich versteht sich an dieser Stelle im Sinne von notwendig. Eine bloße Nützlichkeit oder Dienlichkeit hierfür genügt somit nicht. In derartigen Fällen kann dann aber ggf. das berechtigte Interesse gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO als Erlaubnistatbestand in Betracht kommen.

Erforderlich meint hier jedoch mehr, als nur das Bestehen einer Notwendigkeit zum Tätigwerden. Erforderlich meint darüber hinaus auch, dass eine Maßnahme insgesamt verhältnismäßig sein muss, um durch den Umgang mit personenbezogenen Daten legitimieren zu können. Dies bedeutet zunächst, dass der Verantwortliche keine freie Wahl zwischen den Mitteln hat, mit denen der angestrebte Zweck erreicht werden kann. Häufig führen verschiedene Wege zum erwünschten und auch legitimen Ziel. In diesen Fällen gilt es zu ermitteln, welches dieser Mittel seitens des/der Betroffenen den geringsten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte mit sich bringt. Diesem Mittel ist dann, sofern es wirtschaftlich vertretbar ist, der Vorzug zu geben.

Ferner muss sich die Maßnahme als insgesamt angemessen darstellen, dies bedeutet, dass der erwünschte und an sich legitime Zweck nicht in einem völligen Missverhältnis zu den bei den Betroffenen entstehenden Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen führen darf.

Beispiel:

Ein Möbelhaus gibt für seine Kundschaft eine Kundenkarte heraus. In der zugehörigen Datenbank werden, auf den jeweiligen Kunden beziehbar, Angaben über die gekaufte Ware, Beschaffenheit (Farbe, Holzart, etc.), ggf. Sonderwünsche des Kunden, ggf. Finanzierung des Kaufs, Zahlungsmoral sowie ggf. Reklamationen gespeichert. Dies soll einem verbesserten Kundenservice dienen. Zwar besteht zwischen Möbelhaus und Karteninhaber ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis (der Kaufvertrag), doch sind die im Rahmen der Kundenkarte gespeicherten Angaben nicht zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten erforderlich. Artikel 6 Abs. 1 lit. b) kann nicht den Erlaubnistatbestand für deren Erfassung bzw. Verarbeitung bilden.